Ella erneut verurteilt!

Am vergangenen 1. April wurde Ella vom Oberlandesgericht Gießen erneut verurteilt. Diesmal zu einem Jahr und neun Monaten. Das ist zwar ein halbes Jahr weniger, als noch das Amtsgericht Alsfeld anordnete und die Staatsanwaltschaft wieder forderte. Das bedeutet aber auch, dass unsere Genossin noch bis August gefangen gehalten wird!

Unsere Wut ist groß! Die Urteilsverkündung am Freitag musste unterbrochen werden, weil dieser Wut Luft gemacht wurde. Auch hier kam es zu einem Polizeieinsatz. Dass dieser Prozess wieder mit Polizeigewalt endete, wo er doch nur wegen der brutalen und falschen Räumung des Dannis begann, spricht Bände. Auch die zweite Instanz hat keine Gerechtigkeit und keine Aufklärung gebracht. Unsere Forderung bleibt: Freiheit für Ella! Jetzt sofort! Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Was von diesem Verfahren zu halten ist, sagen Ellas Abschlussworte besser, als wir es könnten:

Schlusserklärung

In Gesellschaften, die die Macht so sehr horten, dass sie beginnen, Oppositionelle als Feinde zu definieren, werden Aktivist*innen zu einer der verletzlichsten Gruppen. Sie beginnen zu verschwinden, in Gefängnissen, im Schweigen, im Exil und oft auch durch die Tür des Todes. Dies geschieht sowohl mit den Mitteln der Autokratien als auch der Demokratien. Die Folgen sind dieselben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß: verweigerte Freiheit, angespannte Beziehungen, geistige, emotionale und körperliche Gesundheit und der Verlust einer ganzheitlicheren, angenehmeren Welt, die jetzt hätte sein können. Diese Ergebnisse betreffen uns alle, die wir diese Realität teilen. Nicht nur Menschen wie ich, die hinter Gittern sitzen.

Der Grund für unser Verschwinden aus dem Leben der Menschen und den Orten, die wir lieben, ist auch in diesen politischen Systemen derselbe: Es geht darum, die Opposition zu unterdrücken.

Lassen wir bitte endlich alle Illusionen über den Hauptgrund für meine Verfolgung fallen. Wir sollten nicht so tun, als sei der Hauptgrund, warum ich hier bin, ein angeblicher Angriff auf die Polizei, genauso wenig wie wir so tun würden, als säße Alexej Navalney wegen Veruntreuung in einem russischen Gefängnis oder als säße Aun San Su Ki wegen illegaler Walkie-Talkies in einem Gefängnis in Myanmar oder als würden Hexen wegen verfluchter und misslungener Ernte verbrannt, wir sollten uns nicht mit einer Fußbewegung ablenken, die eine minimale Kraft in Richtung eines Polizisten hatte, nicht in sein Gesicht, nicht an seinen Kopf, sondern an seinen Helm. Wir dürfen auch nicht glauben, dass ein angebliches Knie, das der Polizist D111 nicht einmal im Videobeweis aufzeigen kann, ein vernünftiger Grund für meine Inhaftierung seit November 2020 sein kann.

Lassen wir uns nicht von einer Staatsanwaltschaft täuschen und ablenken, die die brutale und inkompetente Vorgehensweise der Polizei leugnet, wie sie in den vielen Merkmalen meiner Verhaftung zu sehen ist; dass sie in meinen Sicherheitsgurt griffen, wiederholt daran zogen, mich mit metallischer Kletterausrüstung auf meine Hand schlugen (die danach mindestens 3 Wochen lang Schmerzen hatte); dass man mir mit voller Wucht ins Gesicht schlug, mir in 15m instabiler Höhe mit einem Tasereinsatz drohte, grundlos Schmerzgriffe anwendeten, dass sie den “Rettungsgurt” nicht richtig anlegen konnten, mich auf den Boden legten, auf mir standen, während die durch den Gurt eingeschränkte Blutversorgung mir in den Kopf schoss und hatte dann blitzartig Gedanken an sexuelle Gewalt, während ich da lag und zu einem Kreis von männlichen Personen aufschaute, als ich gerade 4 ihrer Hände zwischen meinen Beinen hatte, die mir die Kleidung auf- und abrissen und mich fesselten. Mein verängstigter Zustand kann mir nicht abgestritten werden.

Mehr noch, als D111 mit den Kommentaren über mich und meinen verzweifelten Zustand konfrontiert wurde, kicherte er haemisch als Antwort, dass „ich alles verdient habe, was ich bekommen habe“. Kann man diesen Leuten wirklich trauen?

Aber sehen wir die Elemente als das, was sie sind, die Provokation von K214 durch sein unnötiges Ziehen an meiner Sicherheitsausrüstung, sein daraufhin verletztes Ego, als mein Fuß es wagte, ihm zu sagen, er solle mit dieser Aggression aufhören, und eine Demonstrantin, die sich nicht nur mit ihrer Meinung widersetzt, sondern buchstäblich und unbequem für die Polizei und den Staat, ihren Körper für die Liebe zu ihrem Planeten aufs Spiel setzt.

Frau Mareen Fischer, ich habe ein paar Dinge über die staatliche Kriminalisierung von mir zu sagen. Am 23. März vergangener Woche wurde mir gesagt, ich sei als „Staatsfeind“ bezeichnet worden, und ich muss Ihr Missverständnis aufklären. Ich habe nicht die Absicht, mir jemanden zum Feind zu machen. Ich würde mich gerne mit Ihnen zusammensetzen, uns einen Tee einschenken und versuchen, uns gegenseitig zu verstehen, indem wir falsche Annahmen in Frage stellen. Ich würde dies sogar mit den Polizisten K214 und D111 tun, denn ich möchte nicht, dass diese Kriegsmentalität zwischen uns Aktivisten und dem von Ihnen vertretenen Staatsapparat fortbesteht. Ebenso würde ich Tarek Al Wazir einladen, den Verkehrsminister, der für den Ökozid verantwortlich ist, den die Autobahn A49 verursacht hat, die Geschäftsführer von DEGES und STRABAG, die dieses Projekt durchführen, können ebenfalls kommen, und gemeinsam können wir den Glauben dekonstruieren, dass wir getrennt sind, während wir in Wirklichkeit alles, was wir anderen antun, uns selbst antun.

Außerdem haben Sie in Ihrem Schlussplädoyer den Richter und die Schöff*innen aufgefordert, meine Freiheit aufgrund meiner Ansichten zur Demokratie weiter zu verweigern. Lassen Sie uns die Gelegenheit nutzen, über die Demokratie als das nachzudenken, was sie ist: ein System der Mehrheitsherrschaft, in dem Entscheidungen von einigen wenigen Auserwählten getroffen werden, die abgehoben sind von denen über die sie entschieden. Sie beruht nicht auf einem Konsens mit den am stärksten Betroffenen, wie die Anwohner der A49 und jeder anderen Gemeinde, der ein demokratisch erarbeitetes Projekt aufgezwungen wurde, sehr deutlich sehen. Dieses Profitieren ohne Rücksicht auf die Konsequenzen ist ein kolonialer „Kater“ (engl. hangover). Bitte lassen Sie uns nüchtern werden und erkennen, dass Herrschaft mit Gewalt eine Situation ist, in der man nur verlieren kann, und dass wir es viel viel besser machen können als so.

Dieser Wille zur Macht über andere ist der grundlegende Unterschied zwischen Staatstreuen und Leuten aus der Bewegung, die wollen, dass wir nur über uns selbst herrschen. Dieser Drang, andere zu kontrollieren, ist in der Angst verwurzelt. Die Angst, dass die freien Menschen um einen herum nicht auf die Interessen der anderen Rücksicht nehmen und man deshalb unter Missachtung leidet. Das ist eine schreckliche Situation, die man durchlebt hat, und ein Trauma, das viele von uns erlebt haben.

Das einzige Heilmittel dagegen ist die Praxis der gegenseitigen Fürsorge. Das Sehen, Hören, Fühlen und Verstehen füreinander ist das, was die Bewegung in autonomen Zonen wie dem Dannenröder Forst schafft.

Die freiere Welt, in der wir leben wollen, ist auch für Sie, sie ist bereits darauf bedacht, die Luft, die wir beide atmen, das Wasser, das wir beide trinken, zu reinigen, die Fähigkeiten mit Ihren Kindern und Enkeln zu teilen, die Naturlandschaften, die sie genießen werden, und das günstige Klima, das sie bewahren wird, zu schützen.

Auch wenn die Schaffung der gemeinsamen Zukunft, die unsere Generation will und braucht, im Gange ist, sind wir leider weit davon entfernt, und wir entfernen uns noch weiter davon mit jedem gefällten Baum, mit jedem Gramm Treibhausgas mehr in der Atmosphäre, mit jeder Beziehung, die durch mangelnde Rücksichtnahme und Konsens zerbrochen ist, jedes Mal, wenn wir meinen, wir müssten akzeptieren, was wir nicht wollen, und uns dafür entscheiden, nichts zu ändern. Jede Wasserquelle wird verseucht, und damit auch jedes Wesen.